Prosagedichte

 

Ausgewählte Gedichte
finden Sie hier als Paperback:

 

F. Christoph Schiermeyer Gedichte

 

 

VERSCHWIEGENER WUNSCH - VERWÜNSCHTES SCHWEIGEN

 

Frühe Prosa und Gedichte
in alphabetischer Reihenfolge

 

Andeutung

 

Es ist ein 
ganz anderer Weg 
Es ist ein ganz anderes Leben 
Es ist eine andere Art zu denken 
Es ist eine andere Art zu fühlen 
Es ist der Weg des Herzens 
Und der Weg des Herzens 
ist friedvoll

 

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Aufwartung

 

Mit fünfundzwanzig Pferden 
wollte ich bei dir vorfahren 
was gar nicht meine Art ist

 

Es sind nur vierundzwanzig 
und eines lahmt - Das lass uns 
pflegen und nachhause tragen

 

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Begegnung

 

Auf dem Weg zur Arbeit 
fand ich einen Stein

 

Er war sehr schüchtern 
und das machte mich verlegen

 

Nach einer Weile merkten wir 
dass die Sonne uns beschien

 

Das löste unsere Spannung 
und ich ging weiter

 

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Besitz

 

Was ich sehe 
gehört mir

 

Ich habe an 
allem Anteil

 

Aber ich halte 
es nicht fest

 

Und ich nehme 
es nicht mit

 

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Blaue Stunde

 

Am schönsten 
ist die Abenddämmerung 
nicht wahr 
wenn man überlegt 
ob man schon 
Licht anmachen soll 
oder noch nicht 
lieber noch nicht 
es ist so still 
so ruhig 
Autos fahren vorbei 
und Fenster werden 
zugeschlagen 
wenige und weit entfernt 
doch drüben 
ist schon alles 
dunkel - 
nicht wahr?

 

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Blumenmädchen

 

Unter den Asphalt
möchte sie Löwenzahn streuen

 

In die Schaufenster
möchte sie Granatäpfel werfen

 

Die Häuser möchte sie
in Efeu ersticken

 

Die Tiefgaragen möchte sie
mit Pilzen bedecken

 

Vor die Autos möchte sie
Buchsbäume pflanzen -

 

Und in die Gesichter 
Klatschmohn

 

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Der Mann ohne Gesicht

 

Er kommt, wenn er geht
ganz nah an dich heran

 

Er lächelt schüchtern 
er fasst dich am Arm


Er möchte was sagen
und sagt dann doch nichts


Er lächelt nur still:
Pst, sag mir jetzt nichts


Vielleicht wird er kommen
vielleicht aber nicht


Er kommt, wenn er geht -
Das ist sein Gesicht

 

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Die Bäume

 

über die ich schreibe 
gibt es nicht mehr

 

Ich schneide ihr Herz 
in holzfreies Papier
und warte

 

auf Narben in Jahren

 

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Ein glückliches Paar

 

Mein linker Schuh 
passt mir ebenso wenig 
wie mein rechter -

 

Ein glückliches Paar 
meine Schuhe

 

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Die Stadt

 

Hier sind wir geborgen

 

Hier fallen uns nicht
Wölfe an / noch Bären

 

Die Flüsse gebändigt
das Wetter beständig

 

Bleibt nur noch
die Angst vor dem Morgen

 

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Etwas

 

Aus mir
wird nie etwas

 

Ich bleibe
lieber ich

 

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Fabel von der großen Falle

 

Die Mäuse 
als sie das Stück Käse 
gefressen hatten 
bekamen es plötzlich 
mit der Angst 
würgten die Reste hervor 
und liefen 
um ihr Leben - 
bis sie vor Erschöpfung 
tot umfielen

 

Moral:

 

Nicht jede Falle schnappt zu

 

Vorsicht ist gut - 
Ängstlichkeit Käse

 

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Fifth Avenue

 

Hier
so sagt er
möchte er sterben


Arm in Arm
mit Onkel Tom
und Doris Day

 

Doch wecken
soll ihn
Cassius Clay

 

So in der vierten
oder fünften
Runde

 

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Friedfertig

 

Ich gestehe
ich bin nicht
friedfertig

 

Ich bin
mit dem Frieden
nicht fertig

 

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Für dich

 

Der Maler schenkt 
seiner Geliebten ein Bild 
der Sänger ein Lied 
und der Bankangestellte 
drei Nullstellen 
vor dem Komma

 

Nur der Schneider 
verwünscht seine 
Fingerfertigkeit und mit 
ihm der Dichter:

 

Beide wissen 
dass Kleider und Wörter 
das Schönste nur verbergen

 

Darum ist auch 
dieses Gedicht 
für alle andern nur nicht

 

für dich

 

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Hauptsache

 

Irgendwo 
unterkommen

 

Irgendwas 
unternehmen

 

Irgendwie 
überlegen sein

 

Hauptsache:

 

drunter 
und drüber

 

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Kampfabsage

 

Ich könnte dich besiegen 
Wenn ich mich mit allem auf dich werfe 
Könnte ich dich besiegen
Aber ich will dich nicht besiegen 
Und ich will nicht mit dir kämpfen 
Ich möchte in deiner Nähe wohnen 
Und an deinem Anblick mich freuen 
Denn du hast mich längst besiegt 
Ich bin in deiner Hand

 

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Kurz über lang

 

Kopf über Hals
haben wir uns verliebt

 

Kreuz über quer
haben wir uns geliebt

 

Kurz über lang
werden wir Ordnung

 

in die Sache bringen

 

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List

 

Ich bin
auf einen fahrenden
Zug gesprungen

 

Es hat ihn
nicht gestört

 

Ich komme voran
mit Tempo

 

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Lebensabend

 

Von dem Kind 
das im Nachbargarten 
Blindekuh spielt 
habe ich noch die 
Ururgroßmutter gekannt

 

Jene Oma Rieke 
die zahnlos und in schwarzen 
Frühlingskleidern schon 
frühzeitig die Weisheit 
der Steine angenommen hatte 
die Gesprächigkeit des Flusses 
und die Weitsichtigkeit 
der fast Erblindeten

 

Da hockt sie nun 
mit ihren prächtigen Zähnen 
in ihren bunten Kleidern 
und spielt schon wieder

 

Lebensabend

 

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Macher

 

Der Schuhmacher 
macht Schuhe

 

Der Hutmacher 
macht Hüte

 

Der Uhrmacher 
macht Uhren

 

Der Regenmacher 
macht Regen

 

Nur der Macher 
macht nichts

 

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Manchmal

 

erschrecke ich 
wie wenig 
ich dich kenne:

 

Wenn du geduldig
 bist und stark

 

Oder lächelst 
wie ein Kind

 

Dann stehe 
ich beschämt 
und wage

 

nichts zu sagen

 

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Mein Zimmer

 

Mein Zimmer misst drei mal vier Meter 
Ein Tisch steht darin und ein Stuhl 
Die Wände sind ganz weiß 
wie unbeschriebenes Papier 
Nur in den Ecken finden sich 
kaum sichtbare Schmutzflecken 
eher Schatten zu vergleichen 
von denen sich nicht mit Bestimmtheit 
sagen lässt, ob sie nicht doch 
von verborgener Feuchtigkeit herrühren 
Ich habe das nicht nachgeprüft 
Mein Verdacht könnte sich bestätigen 
und was sollte ich dann 
dagegen unternehmen? 
In meinen Augen sind es also 
Schatten Ornamente Schraffierungen 
und manchmal 
wenn ich ein Bild in ihnen erkenne 
bin ich mir so gut wie sicher 
dass ich sie selber angebracht habe

 

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Mein Zimmer II

 

Sie ist schon oft so zu mir gekommen

 

Ich höre sie schon wenn sie unten
im Flur die Dielentür öffnet und langsam 
die Treppe heraufkommt  jede Stufe
überdenkend  langsam wenn sie an die Tür
klopft und ihr Gesicht zwischen Rahmen
und Tür erscheint alles mit Bedacht  und
trotzdem den Schalk im Mundwinkel
den Kobold im Nacken

 

Komm herein sage ich
und mach  die Tür zu es zieht aber
es zieht gar nicht  denn die Flurtür schließt
gut  und das Fenster ist auch geschlossen 
Ich brauche das nicht zu sagen 
sie kennt meine Abneigung gegen
offene Türen doch ich habe Angst 
sie könnte es vergessen

 

Sie ist schon oft so zu mir gekommen 
aber ich weiß heute wird sie
es sagen  und ich werde schweigen  
weil sie recht hat und ich lege 
das Buch zur Seite dessen Ende 
ich kenne und drehe das Radio an 
weil Bekanntes beruhigt

 

Sie sagt hallo und schnippt mit
den Fingern und ich antworte setz dich 
und sie geht zu dem Stuhl der am
Tisch steht ich aber liege auf der Couch 
unter der Dachschräge mit dem 
im letzten Jahr eingelassenen Fenster
wo morgens die Sonne nicht hereinscheinen
kann und nachmittags nicht will es ist
sehr klein und man müsste es putzen
das gibt mir Gewissheit

 

Ich werde noch ruhiger weil Gewissheit
beruhigt und atme tief ein auch sie

 

Dann wie auf ein Kommando
sagen wir plötzlich jaja und brechen
in lautes Lachen aus wie früher so oft 
doch wir merken es klingt nicht gelöst
und reinigt die Luft nicht wirklich

 

Soll ich das Fenster aufmachen 
fragt sie und steht dabei auf
bitte nicht es könnte regnen sie setzt
sich wieder und sagt das könnte es

 

Wir schweigen beide und es fällt mir auf
dass fast alles so ist wie am ersten Tag

 

In den ersten Wochen werden wir uns
wieder Briefe schreiben und ich werde lesen
es war alles sehr schön vielleicht bin ich
deiner gar nicht wert eines Tages lernst du
jemand anderes kennen dann werde ich
traurig sein denn es klingt nach schlechten
Romanen weißem Schleier Jugendtraum ---

 

Nach Erfüllung dieser Pflicht 
werden die Daten vergessen sein 
die Namen verblasst die Wände verputzt
nur manchmal wenn jemand die Treppe
heraufkommt jede Stufe überdenkend
werde ich den Atem anhalten ein Buch
aus der Hand legen und sagen:
Ach du bist’s

 

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Mittagsruhe

 

Die Wand da drüben 
aufhacken 
Silbe für Silbe 
mit einem 
Maschinengewehr 
oder Presslufthammer 
tak tak tak 
dass der Kalk nur so 
aufspritzt 
und Stille wird

 

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Nach dem Gasangriff

 

vertrauen 
die Soldaten 
den Generälen 
blind

 

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N  tr n nb mb

 

N chts m hr 
ls 
K ns n nt n

 

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Nur eine Frage

 

Angenommen 
du seist 
Schneewittchen

 

und ich wär 
der Prinz -

 

Wer führte 
uns dann 
in ein neues 
Märchen?

 

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Ohne Worte

 

Früher 
hatten wir uns 
so viel
zu sagen

 

Wir kamen
der Stille
ganz nah

 

Dann begannen
wir zu reden

 

Jetzt sind wir
nur stumm

 

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Sonntagnachmittag

 

In der Sonne liegen 
An nichts denken 
Träumen vielleicht 
Vielleicht auch nicht - 
Morgen ist Dienstag

 

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Standbild

 

Sie haben 
dich 
gut gekannt

 

So bist 
du 
gewesen -

 

Aus Stein

 

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Traum

 

"Komm wieder, 
wenn du 
wach bist"

 

sagte der Traum 
den ich 
träumen wollte:

 

"Ich bin der 
Traum 
vom Wachsein"

 

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Unterwegs

 

Wir waren 
mit dem Fahrrad unterwegs 
und die Straße war steil 
Links und rechts standen Obstbäume 
dazwischen Telegrafenmasten 
und später dann Häuser 
Gegen Mittag machten wir Rast 
wir aßen und tranken 
und niemand 
wusste mehr genau zu sagen 
ob wir die Straße 
heraufgekommen waren 
oder herab

 

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verschwiegener wunsch

 

in die wodurch
geängstigte seele


zwischen den zeilen
ihr aufenthalt

 

räuspern – ein griff
in die schnürenkehle

 

lösendes wort
erlöse bald

 

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Vorhaben

 

Eines Tages werde ich 
ein Buch schreiben und alles erklären


Ich werde Bild an Bild reihen
so wie ein Tag auf den anderen folgt
und mich bemühen weder zu
behaupten noch den bloßen Anschein
zu erwecken dass es zwischen diesen
Bildern Abhängigkeiten gibt
womöglich sogar zwangsläufige


Mein Buch soll kein Roman werden


Wenn es Morgen ist werde ich schreiben
dass es Morgen ist und wenn mit diesem
Morgen außerdem ein Donnerstag
heraufzieht so werde ich auch das
schreiben ohne das eine mit dem
anderen in Verbindung zu bringen

 

Nicht einmal die Beobachtung
dass auf den Morgen ein Nachmittag
und auf den Donnerstag ein Freitag 
zu folgen pflegt wird mich dazu
verleiten von etwas anderem
als der überraschenden Wiederkehr
bestimmter Abläufe zu sprechen


Ich bin vorsichtig


Zu gut kann ich mir vorstellen
dass eines Tages ein Tag
einfach wegbleibt und nicht antritt 
und ich muss gestehen
die Aussicht auf einen solchen Tag
erfüllt mich in gleicher Weise
mit Freude und Schrecken:


Unvorbereitet
wird mich jeder Tag finden

 

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Was ich wem wünsche

 

Den Juden 
das Himmelreich

 

Den Indianern 
das Paradies auf Erden

 

Den Moslems 
das Nirwana

 

Den Christen 
die ewigen Jagdgründe

 

Den Buddhisten 
den siebten Himmel

 

Den Kommunisten 
Abrahams Schoß

 

Und mir? 
Sie da zu wissen.

 

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Weitblick

 

Als der Mensch auftrat 
lernten die Vögel fliegen 
die Fische sprangen ins Meer 
und das Mammut gab auf

 

Die Würmer verschwanden 
unter die Erde -

 

Sie dachten am weitesten

 

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Wieder verlassen

 

besinne ich mich 
des Ursprungs
meiner Gedichte
und ritze ein neues
in den Wind