Prosagedichte

VERSCHWIEGENER WUNSCH - VERWÜNSCHTES SCHWEIGEN
Frühe Prosa und Gedichte
in alphabetischer Reihenfolge
Andeutung
Es ist ein
ganz anderer Weg
Es ist ein ganz anderes Leben
Es ist eine andere Art zu denken
Es ist eine andere Art zu fühlen
Es ist der Weg des Herzens
Und der Weg des Herzens
ist friedvoll
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Aufwartung
Mit fünfundzwanzig Pferden
wollte ich bei dir vorfahren
was gar nicht meine Art ist
Es sind nur vierundzwanzig
und eines lahmt - Das lass uns
pflegen und nachhause tragen
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Begegnung
Auf dem Weg zur Arbeit
fand ich einen Stein
Er war sehr schüchtern
und das machte mich verlegen
Nach einer Weile merkten wir
dass die Sonne uns beschien
Das löste unsere Spannung
und ich ging weiter
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Besitz
Was ich sehe
gehört mir
Ich habe an
allem Anteil
Aber ich halte
es nicht fest
Und ich nehme
es nicht mit
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Blaue Stunde
Am schönsten
ist die Abenddämmerung
nicht wahr
wenn man überlegt
ob man schon
Licht anmachen soll
oder noch nicht
lieber noch nicht
es ist so still
so ruhig
Autos fahren vorbei
und Fenster werden
zugeschlagen
wenige und weit entfernt
doch drüben
ist schon alles
dunkel -
nicht wahr?
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Blumenmädchen
Unter den Asphalt
möchte sie Löwenzahn streuen
In die Schaufenster
möchte sie Granatäpfel werfen
Die Häuser möchte sie
in Efeu ersticken
Die Tiefgaragen möchte sie
mit Pilzen bedecken
Vor die Autos möchte sie
Buchsbäume pflanzen -
Und in die Gesichter
Klatschmohn
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Der Mann ohne Gesicht
Er kommt, wenn er geht
ganz nah an dich heran
Er lächelt schüchtern
er fasst dich am Arm
Er möchte was sagen
und sagt dann doch nichts
Er lächelt nur still:
Pst, sag mir jetzt nichts
Vielleicht wird er kommen
vielleicht aber nicht
Er kommt, wenn er geht -
Das ist sein Gesicht
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Die Bäume
über die ich schreibe
gibt es nicht mehr
Ich schneide ihr Herz
in holzfreies Papier
und warte
auf Narben in Jahren
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Ein glückliches Paar
Mein linker Schuh
passt mir ebenso wenig
wie mein rechter -
Ein glückliches Paar
meine Schuhe
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Die Stadt
Hier sind wir geborgen
Hier fallen uns nicht
Wölfe an / noch Bären
Die Flüsse gebändigt
das Wetter beständig
Bleibt nur noch
die Angst vor dem Morgen
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Etwas
Aus mir
wird nie etwas
Ich bleibe
lieber ich
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Fabel von der großen Falle
Die Mäuse
als sie das Stück Käse
gefressen hatten
bekamen es plötzlich
mit der Angst
würgten die Reste hervor
und liefen
um ihr Leben -
bis sie vor Erschöpfung
tot umfielen
Moral:
Nicht jede Falle schnappt zu
Vorsicht ist gut -
Ängstlichkeit Käse
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Fifth Avenue
Hier
so sagt er
möchte er sterben
Arm in Arm
mit Onkel Tom
und Doris Day
Doch wecken
soll ihn
Cassius Clay
So in der vierten
oder fünften
Runde
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Friedfertig
Ich gestehe
ich bin nicht
friedfertig
Ich bin
mit dem Frieden
nicht fertig
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Für dich
Der Maler schenkt
seiner Geliebten ein Bild
der Sänger ein Lied
und der Bankangestellte
drei Nullstellen
vor dem Komma
Nur der Schneider
verwünscht seine
Fingerfertigkeit und mit
ihm der Dichter:
Beide wissen
dass Kleider und Wörter
das Schönste nur verbergen
Darum ist auch
dieses Gedicht
für alle andern nur nicht
für dich
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Hauptsache
Irgendwo
unterkommen
Irgendwas
unternehmen
Irgendwie
überlegen sein
Hauptsache:
drunter
und drüber
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Kampfabsage
Ich könnte dich besiegen
Wenn ich mich mit allem auf dich werfe
Könnte ich dich besiegen
Aber ich will dich nicht besiegen
Und ich will nicht mit dir kämpfen
Ich möchte in deiner Nähe wohnen
Und an deinem Anblick mich freuen
Denn du hast mich längst besiegt
Ich bin in deiner Hand
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Kurz über lang
Kopf über Hals
haben wir uns verliebt
Kreuz über quer
haben wir uns geliebt
Kurz über lang
werden wir Ordnung
in die Sache bringen
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List
Ich bin
auf einen fahrenden
Zug gesprungen
Es hat ihn
nicht gestört
Ich komme voran
mit Tempo
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Lebensabend
Von dem Kind
das im Nachbargarten
Blindekuh spielt
habe ich noch die
Ururgroßmutter gekannt
Jene Oma Rieke
die zahnlos und in schwarzen
Frühlingskleidern schon
frühzeitig die Weisheit
der Steine angenommen hatte
die Gesprächigkeit des Flusses
und die Weitsichtigkeit
der fast Erblindeten
Da hockt sie nun
mit ihren prächtigen Zähnen
in ihren bunten Kleidern
und spielt schon wieder
Lebensabend
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Macher
Der Schuhmacher
macht Schuhe
Der Hutmacher
macht Hüte
Der Uhrmacher
macht Uhren
Der Regenmacher
macht Regen
Nur der Macher
macht nichts
--------------
Manchmal
erschrecke ich
wie wenig
ich dich kenne:
Wenn du geduldig
bist und stark
Oder lächelst
wie ein Kind
Dann stehe
ich beschämt
und wage
nichts zu sagen
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Mein Zimmer
Mein Zimmer misst drei mal vier Meter
Ein Tisch steht darin und ein Stuhl
Die Wände sind ganz weiß
wie unbeschriebenes Papier
Nur in den Ecken finden sich
kaum sichtbare Schmutzflecken
eher Schatten zu vergleichen
von denen sich nicht mit Bestimmtheit
sagen lässt, ob sie nicht doch
von verborgener Feuchtigkeit herrühren
Ich habe das nicht nachgeprüft
Mein Verdacht könnte sich bestätigen
und was sollte ich dann
dagegen unternehmen?
In meinen Augen sind es also
Schatten Ornamente Schraffierungen
und manchmal
wenn ich ein Bild in ihnen erkenne
bin ich mir so gut wie sicher
dass ich sie selber angebracht habe
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Mein Zimmer II
Sie ist schon oft so zu mir gekommen
Ich höre sie schon wenn sie unten
im Flur die Dielentür öffnet und langsam
die Treppe heraufkommt jede Stufe
überdenkend langsam wenn sie an die Tür
klopft und ihr Gesicht zwischen Rahmen
und Tür erscheint alles mit Bedacht und
trotzdem den Schalk im Mundwinkel
den Kobold im Nacken
Komm herein sage ich
und mach die Tür zu es zieht aber
es zieht gar nicht denn die Flurtür schließt
gut und das Fenster ist auch geschlossen
Ich brauche das nicht zu sagen
sie kennt meine Abneigung gegen
offene Türen doch ich habe Angst
sie könnte es vergessen
Sie ist schon oft so zu mir gekommen
aber ich weiß heute wird sie
es sagen und ich werde schweigen
weil sie recht hat und ich lege
das Buch zur Seite dessen Ende
ich kenne und drehe das Radio an
weil Bekanntes beruhigt
Sie sagt hallo und schnippt mit
den Fingern und ich antworte setz dich
und sie geht zu dem Stuhl der am
Tisch steht ich aber liege auf der Couch
unter der Dachschräge mit dem
im letzten Jahr eingelassenen Fenster
wo morgens die Sonne nicht hereinscheinen
kann und nachmittags nicht will es ist
sehr klein und man müsste es putzen
das gibt mir Gewissheit
Ich werde noch ruhiger weil Gewissheit
beruhigt und atme tief ein auch sie
Dann wie auf ein Kommando
sagen wir plötzlich jaja und brechen
in lautes Lachen aus wie früher so oft
doch wir merken es klingt nicht gelöst
und reinigt die Luft nicht wirklich
Soll ich das Fenster aufmachen
fragt sie und steht dabei auf
bitte nicht es könnte regnen sie setzt
sich wieder und sagt das könnte es
Wir schweigen beide und es fällt mir auf
dass fast alles so ist wie am ersten Tag
In den ersten Wochen werden wir uns
wieder Briefe schreiben und ich werde lesen
es war alles sehr schön vielleicht bin ich
deiner gar nicht wert eines Tages lernst du
jemand anderes kennen dann werde ich
traurig sein denn es klingt nach schlechten
Romanen weißem Schleier Jugendtraum ---
Nach Erfüllung dieser Pflicht
werden die Daten vergessen sein
die Namen verblasst die Wände verputzt
nur manchmal wenn jemand die Treppe
heraufkommt jede Stufe überdenkend
werde ich den Atem anhalten ein Buch
aus der Hand legen und sagen:
Ach du bist’s
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Mittagsruhe
Die Wand da drüben
aufhacken
Silbe für Silbe
mit einem
Maschinengewehr
oder Presslufthammer
tak tak tak
dass der Kalk nur so
aufspritzt
und Stille wird
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Nach dem Gasangriff
vertrauen
die Soldaten
den Generälen
blind
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N tr n nb mb
N chts m hr
ls
K ns n nt n
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Nur eine Frage
Angenommen
du seist
Schneewittchen
und ich wär
der Prinz -
Wer führte
uns dann
in ein neues
Märchen?
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Ohne Worte
Früher
hatten wir uns
so viel
zu sagen
Wir kamen
der Stille
ganz nah
Dann begannen
wir zu reden
Jetzt sind wir
nur stumm
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Sonntagnachmittag
In der Sonne liegen
An nichts denken
Träumen vielleicht
Vielleicht auch nicht -
Morgen ist Dienstag
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Standbild
Sie haben
dich
gut gekannt
So bist
du
gewesen -
Aus Stein
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Traum
"Komm wieder,
wenn du
wach bist"
sagte der Traum
den ich
träumen wollte:
"Ich bin der
Traum
vom Wachsein"
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Unterwegs
Wir waren
mit dem Fahrrad unterwegs
und die Straße war steil
Links und rechts standen Obstbäume
dazwischen Telegrafenmasten
und später dann Häuser
Gegen Mittag machten wir Rast
wir aßen und tranken
und niemand
wusste mehr genau zu sagen
ob wir die Straße
heraufgekommen waren
oder herab
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verschwiegener wunsch
in die wodurch
geängstigte seele
zwischen den zeilen
ihr aufenthalt
räuspern – ein griff
in die schnürenkehle
lösendes wort
erlöse bald
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Vorhaben
Eines Tages werde ich
ein Buch schreiben und alles erklären
Ich werde Bild an Bild reihen
so wie ein Tag auf den anderen folgt
und mich bemühen weder zu
behaupten noch den bloßen Anschein
zu erwecken dass es zwischen diesen
Bildern Abhängigkeiten gibt
womöglich sogar zwangsläufige
Mein Buch soll kein Roman werden
Wenn es Morgen ist werde ich schreiben
dass es Morgen ist und wenn mit diesem
Morgen außerdem ein Donnerstag
heraufzieht so werde ich auch das
schreiben ohne das eine mit dem
anderen in Verbindung zu bringen
Nicht einmal die Beobachtung
dass auf den Morgen ein Nachmittag
und auf den Donnerstag ein Freitag
zu folgen pflegt wird mich dazu
verleiten von etwas anderem
als der überraschenden Wiederkehr
bestimmter Abläufe zu sprechen
Ich bin vorsichtig
Zu gut kann ich mir vorstellen
dass eines Tages ein Tag
einfach wegbleibt und nicht antritt
und ich muss gestehen
die Aussicht auf einen solchen Tag
erfüllt mich in gleicher Weise
mit Freude und Schrecken:
Unvorbereitet
wird mich jeder Tag finden
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Was ich wem wünsche
Den Juden
das Himmelreich
Den Indianern
das Paradies auf Erden
Den Moslems
das Nirwana
Den Christen
die ewigen Jagdgründe
Den Buddhisten
den siebten Himmel
Den Kommunisten
Abrahams Schoß
Und mir?
Sie da zu wissen.
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Weitblick
Als der Mensch auftrat
lernten die Vögel fliegen
die Fische sprangen ins Meer
und das Mammut gab auf
Die Würmer verschwanden
unter die Erde -
Sie dachten am weitesten
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Wieder verlassen
besinne ich mich
des Ursprungs
meiner Gedichte
und ritze ein neues
in den Wind